Wertegebundene Sozialarbeit – geht das noch?
1. Reihe von links: Prof. Dr. Günter Hirth, Birgit Feeß, Joachim Albrecht, Dr. Andreas Schubert, Propst Martin TengeCaritasverband Hannover
Das Thema: "Caritas im Spannungsfeld zwischen Ökonomie und christlichem Auftrag".
Die Caritas ist mehr als eine Organisation. Sie ist eine Grundhaltung gegenüber Menschen, besonders gegenüber Menschen in Not. Sie handelt vor dem Hintergrund einer christlichen Werteorientierung und setzt sich für eine Gesellschaft ein, in der die Werte Solidarität, Toleranz, Respekt, Gleichheit und Gerechtigkeit Grundlage sozialpolitischen Handels sind.
Die Caritas muss sich dabei sowohl als Anbieterin sozialer Einrichtungen als auch als Arbeitgeberin an ihre Werte binden und sich daran messen lassen. Gleichzeitig steht die Caritas als sozialer Dienstleister im ständigen Wettbewerb und ist wirtschaftlich abhängig von öffentlichen Geldern und Zuschüssen.
Wie lassen sich unter dieser Prämisse betriebswirtschaftliche Erfordernisse und soziale Verantwortung in Einklang bringen? Woran richtet die Caritas ihre unternehmerischen Entscheidungen aus?
Birgit Feeß und Prof. Dr. Günter HirthCaritasverband Hannover
Diesen und den Fragen der mehr als 50 Gäste stellten sich Prof. Dr. Gerhard Kruip, Professor für Christliche Anthropologie und Sozialethik an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Mainz, Birgit Feeß, Geschäftsführerin der Pro Hannover Region, Joachim Albrecht, Ministerialrat a. D. und Mitglied des Rates der Landeshauptstadt Hannover, Prof. Dr. Günther Hirth, Leiter Berufsbildung der IHK Hannover und Dr. Andreas Schubert, Vorstand des Caritasverbandes Hannover e. V.
Mit einer sehr humorvollen, persönlichen Fortsetzung der biblischen Geschichte des "Barmherzigen Samariters (LK 10, 25 - 37)" leitete Prof. Kruip seinen Impulsvortrag ein und verdeutlichte anschließend in einer sozialethischen Betrachtung die Entwicklung der heutigen Hilfesysteme.
Sie seien gekennzeichnet durch zunehmende Organisation, teilweise Verstaatlichung, zwangsweise Erhebung von finanziellen Mitteln, Verrechtlichung, Ökonomisierung, Professionalisierung, Qualitätssicherung etc.
Die Gründe für diese Entwicklung lägen wesentlich auch in der sozialethischen Forderung nach Verbesserung der Hilfe und nach einer gerechteren Ausgestaltung der Hilfe und ihrer Finanzierung. Allerdings seien immer auch "Folgen und Nebenwirkungen" dieser Veränderungen zu berücksichtigen. Diese könnten sich verselbständigen und zu Mechanismen führen, die im Widerspruch zur grundlegenden sozialethischen Rechtfertigung stehen.
Prof. Dr. Gerhard KruipCaritasverband Hannover
Kruip brachte auch die Probleme dieser Entwicklung auf den Punkt.
Die hohe Komplexität des Hilfesystems und die funktionale Ausdifferenzierung würden zu einem "Subsystem" mit eigener Logik. Dadurch entständen z.B. Entfremdungsprozesse gegenüber anderen Handlungsfeldern innerhalb der Kirche und weniger Spontaneität und Kreativität. Die Verrechtlichung und größere Abhängigkeit vom Staat, seinen Finanzen, seinen Gesetzen bürgen die Gefahr neuer Exklusionsprozesse auf Grund gesetzlicher Regelungen und ökonomischer Anreize.
In wie weit eine mögliche Minderung oder Erosion moralischer Handlungsmotivation in Kirche und Gesellschaft die Folge seien, stellte er unter die Frage, ob dadurch das Hilfesystem als Ganzes "unmoralisch" werde?
In einem komplexen Lösungsansatz stellte Kruip heraus, dass die anwaltschaftliche Funktion der Caritas sich auch auf die Gestaltung der Rahmenbedingungen, in denen sie sich bewegt, beziehen muss. Dies gehe nur, wenn eine hohe Sensibilität für die Probleme der Armen gepflegt würde.
Allerdings bestände die Gefahr, dass die Gestaltung der Rahmenbedingungen nur zum Nutzen der eigenen Organisation, nicht zum Nutzen der Armen erfolge und dies vor dem Hintergrund höchster Ansprüche an die Glaubwürdigkeit der Organisation.
Um diese Gefahr zu mindern, benannte Kruip sechs Aspekte, die aus seiner Sicht von helfenden Organisationen berücksichtigt werden sollten:
- Offenlegung der eigenen Interessen, Transparenz
- Selbstbewusst zu ökonomischen Erfolgen stehen
- Allianzen über eigene Organisationsinteressen hinaus bilden
- Insbesondere Beteiligung der Armen selbst ermöglichen und fördern
- Eintreten für Subjektförderung, Trägervielfalt und Wettbewerb unter ihnen, Wahlfreiheit der "Kunden"
- Bewusste Präsenz in ökonomisch nicht einträglichen Bereichen, stärkere Finanzierung von Teilen der Arbeit über Spenden
In der folgenden sehr lebendigen Diskussion, die von Andreas Brauns vom Kath. Rundfunkreferat Hildesheim moderiert wurde, ging es um Fragen, wie:
Wo gibt es Konflikte zwischen dem (ökonomischen) Erfolg der Caritas und der Anwaltschaft für die Armen? Welche dieser Probleme ließen sich durch organisatorische Maßnahmen lösen? Welche dieser Probleme können nur durch veränderte Rahmenbedingungen gelöst werden? Wie müssten diese dann aussehen?
Über welche Aktivitäten könnte es gelingen, eine Veränderung solcher Rahmenbedingungen politisch durchzusetzen?
Am Ende der zweistündigen Veranstaltung konnte das Spannungsfeld Caritas zwischen Markt, Staat und Barmherzigkeit zwar nicht aufgelöst werden, aber sowohl Podiumsteilnehmer als auch Gäste waren sich vielfach einig, dass es für die Caritas wichtig und unerlässlich ist, sich zum Nutzen der Menschen in gesellschaftspolitische Themen aktiv einzubringen, wirtschaftliche und politische Rahmenbedingungen mit zu gestalten und dabei aber nicht vergessen darf, die Menschen in den Mittelpunkt des Handelns zu stellen und zu beteiligen.
Dr. Andreas Schubert und Joachim AlbrechtCaritasverband Hannover
Für Dr. Andreas Schubert, Vorstand der Caritas in Hannover ist klar: "Wertegebundene Sozialarbeit und Ökonomie sind kein Widerspruch. Die erfolgreiche Arbeit der Caritas Hannover in den letzten Jahren zeigt, dass es möglich ist, seinen Werten treu zu bleiben und dennoch entsprechend ökonomischer Regeln und Anforderungen zu handeln. Im Caritasverband ist die Ausrichtung an Werten ein Erfolgsfaktor, dem sich letztlich auch die Ökonomie unterordnen muss."
Auf die Frage nach seinen Wünschen ergänzt Schubert: "Als Unternehmen der Wohlfahrt wünschen wir uns seitens der Politik, eine stärkere Anerkennung der Wirkung und der Erfolge sozialpädagogischen Handelns und einen intensiven Dialog unter Einbindung Betroffener und unserer Erfahrungen als Anwalt der Menschen, die vielfach am Rande unserer Gesellschaft stehen."