Themen im Jahresbericht 2023:
Vorwort | Rotstift im sozialen Bereich | Straßenambulanz | Fachberatung | Marte-Meo-Schulung | Schutzkonzepte im Verband | Sprach-Kitas | Geschäftsjahr 2023
Der Druck nimmt zu: Dr. Andreas Schubert zu den Auswirkungen der Sparpolitik
Ende 2023 prägte kein Thema den öffentlichen Diskurs so sehr wie die Haushaltskrise der Bundesregierung. Die Folge: Kürzen, Sparen, Einstellen. Besonders im sozialen Bereich aber auch bei Klimaprojekten kam der Rotstift zum Einsatz. Was diese Entwicklung für den Caritasverband Hannover bedeutet, erklärt Vorstand Dr. Andreas Schubert im Interview.
Dr. Andreas Schubert, Vorstand des Caritasverbandes Hannover e.V.Foto: Andrea Seifert
Im Gespräch mit Dr. Andreas Schubert
Herr Dr. Schubert, wie sehen Sie die aktuelle politische Lage im Hinblick auf die Finanzierung des sozialen Bereichs?
Dr. Schubert: Die politischen Rahmenbedingungen sind äußerst angespannt. Die öffentlichen Haushalte sind auf Sparkurs, und für die Jahre 2025 und 2026 sind im Doppelhaushalt der Stadt und der Region Hannover bereits konkrete Kürzungen angekündigt. Diese Kürzungen treffen uns besonders hart, da sie die Finanzierung essenzieller sozialer Dienste gefährden.
Welche Auswirkungen hat das konkret auf Ihre Arbeit?
Dr. Schubert: Ein Rückgang in der sozialen Arbeit erfolgt oft schleichend. Wir sehen es daran, dass Stellen nicht neu besetzt werden und Projekte auslaufen, weil wir schlichtweg nicht die Fachkräfte finden oder eine grundlegende Finanzierung fehlt. Ein gutes Beispiel ist das Mentoringprogramm "Balu und Du". Solche Projekte können wir nur schwer aufrechterhalten, wenn die Finanzierung, auf Grund fehlender öffentlicher Mittel für dieses Projekt, nicht gesichert ist. Hilfesuchende und in diesem Fall Kinder, die Unterstützung brauchen, bleiben dann zwangsläufig auf der Strecke.
Mussten 2023 Dienste geschlossen werden?
Dr. Schubert: Unser Angebot für junge Zugewanderte, die in Deutschland ein Hochschulstudium aufnehmen oder eine akademische Laufbahn fortsetzen möchten, die sogenannte Bildungsberatung, stand ganz konkret auf der Kippe. Nur in letzter Sekunde konnte auf Grund des sozialpolitischen Einsatzes vieler Träger, der Hochschulen und einer breitangelegten Unterstützungskampagne, die in einer Petition mit knapp 12.000 Unterschriften an das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, die Einstellung des bewährten Bundesprogramms Garantiefonds Hochschule abgewendet werden.
Ist die Bildungsberatung nunmehr gerettet?
Dr. Schubert: Nein, nicht langfristig. Im November 2023 hat der Haushaltsausschuss der Bundesregierung beschlossen, das Bundesprogramm 2024 fortzuführen. Wie es danach weiter geht, ist noch offen. Aber wir werden uns weiterhin deutlich für den Erhalt einsetzen. Viele junge Menschen konnten mit Hilfe der Bildungsberatung in den letzten Jahren erfolgreich ein Studium oder eine qualifizierte Ausbildung abschließen und leisten mit dem Berufseinstieg einen sehr wertvollen Beitrag zu unserer Gesellschaft. Diese Chance dürfen wir doch angesichts des großen Fachkräftemangels nicht einfach aufgeben.
Sie erwähnten, dass Sie 2023 dennoch ein positives Jahresergebnis erzielt haben. Wie konnte das erreicht werden?
Dr. Schubert: Das positive Ergebnis verdanken wir hauptsächlich den Einnahmen aus unseren Vermögenswerten. Ohne diese zusätzlichen Mittel wäre es uns nicht möglich gewesen, die finanziellen Herausforderungen zu bewältigen. Wir können einiges abpuffern, aber längst nicht alles. Die finanzielle Belastung steigt stetig.
„Wir können einiges abpuffern, aber längst nicht alles. Die finanzielle Belastung steigt stetig.”
Was sind die langfristigen Folgen, wenn die Finanzierungslücken nicht geschlossen werden?
Dr. Schubert: Der Druck auf die Wohlfahrtsverbände nimmt zu und mit den Kürzungen der Bundesprogramme und sozialer Leistungen der Kommunen sinkt auch das bürgerschaftliche Engagement. Das Prinzip der Subsidiarität funktioniert so nicht mehr. Irgendwann haben wir keine Handlungsspielräume mehr. Zudem verlieren wir in Vergabeverfahren oft gegen private Anbieter, weil wir eine gute Altersvorsorge und Lohnfortzahlungen im Krankheitsfall bieten und bei den Personalkosten dann nicht konkurrieren können. Das sind wichtige Benefits für unsere Mitarbeitenden, aber sie stellen im Wettbewerb einen Nachteil dar. Für die Mitarbeitergewinnung sind sie jedoch ein absolutes Plus.
Welche konkreten Forderungen haben Sie an die Politik?
Dr. Schubert: Der Staat spart an der falschen Stelle, wenn er im Sozialen massiv Mittel kürzen will. Das Soziale in unserer Gesellschaft darf nicht auf Kosten reduziert werden, sonst gibt es nur Verlierer: die Menschen, die Unterstützung brauchen. Die Wirtschaft, die Arbeitskräfte sucht. Die sozialen Träger, die gute Arbeit leisten. Und die Demokratie, die intakte soziale Strukturen benötigt.
„Das Prinzip der Subsidiarität funktioniert so nicht mehr. Irgendwann haben wir keine Handlungsspielräume mehr.”
Was braucht es konkret?
Dr. Schubert: In den nächsten Jahren muss es eine Ausbildungsinitiative geben. Die Menschen brennen nicht wegen ihres Berufes aus, sondern weil sie zu wenige sind. Es müssen auch mehr finanzielle Mittel ins System fließen. Wir haben Tarifabschlüsse erhöht und die Inflation ausgeglichen, können aber nicht alle Finanzierungslücken schließen und gleichzeitig ein Arbeitgeber bleiben, der seine Mitarbeitenden wertschätzt. Wir brauchen die Fachkräfte, um für die Menschen verlässlich da sein zu können. Ein krankes Kind in der Kita zu lassen, ist keine Entscheidung, die Eltern leichtfertig fällen. Der Grund ist oft, dass sie ihre Arbeitsplätze nicht gefährden können.
Wie können alternative Finanzierungskanäle helfen?
Dr. Schubert: Unsere Möglichkeiten sind begrenzt. Öffentliche Mittel bilden die Grundlage für die Struktur unserer Beratungsangebote und unserer Einrichtungen. Sie müssen ein verlässlicher Faktor sein, um eine solide Finanzplanung zu ermöglichen. Befristete Förderbescheide und alternative Finanzierungskanäle stoßen schnell an ihre Grenzen. Schließlich müssen wir z. B. für unsere Kitas gut ausgebildete Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter einstellen und auch die nötige Infrastruktur für unsere Dienste verlässlich zur Verfügung stellen. Wachstum ohne Fachkräfte ist nicht möglich. Selbst wenn wir neue Projekte wie ein Flüchtlingswohnheim oder eine neue Kita erhalten, stellt sich die Frage: Woher bekommen wir das Personal?
Was passiert, wenn diese Probleme nicht gelöst werden?
Dr. Schubert: Wenn wir keine ausreichende Finanzierung und keine Fachkräfte haben, können wir unsere Dienste nicht aufrechterhalten. In gewisser Weise subventionieren wir uns bereits selbst, um die Lücken zu füllen, die durch fehlende öffentliche Mittel entstehen. Im schlimmsten Fall müssten wir unsere Angebote drastisch reduzieren. Meine Aufgabe als Vorstand ist es, genau das zu verhindern. Die Menschen, die unsere Hilfe brauchen, lassen wir nicht im Stich. Und ich appelliere an alle in unserer Gesellschaft, denn jede(r) Einzelne, ob in unserer Politik, in Wirtschaft, Kirche und Gesellschaft muss sich seiner sozialen Verantwortung für die Menschen, die Schutz und Hilfe brauchen, bewusst sein.
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